Erzählt und geschrieben von Julie Leube (NIFA plus-Beraterin der AGDW in Stuttgart):
Frau E. hat bei ihrer Einreise nach Deutschland im März 2020 keinerlei Absichten ein Asylverfahren zu durchlaufen. Sie hat ein Visum und möchte im Rahmen ihrer Doktorarbeit ein Praktikum beim Max-Planck-Institut absolvieren. Da sie aufgrund der Corona bedingten Reisebeschränkungen nicht in ihr Heimatland zurückkehren kann und ihre finanziellen Mittel zur Neige gehen, beantragt sie aus der Not heraus Asyl. In der folgenden Zeit konzentriert sie sich darauf Deutsch zu lernen und will online ihre Promotion im Fachbereich Öffentliches Recht mit dem Schwerpunkt internationale Steuer abschließen. Obwohl es mittlerweile wieder Lockerungen hinsichtlich Reisen gibt, hat sich Frau E.s private Situation so verändert, dass eine Rückkehr zu ihrer Familie für sie sehr gefährlich sein könnte.
„Ich bin Optimistin. Wenn in meinem Leben etwas Schlechtes passiert ist, kam danach immer etwas Gutes.“
Aus diesem Grund versucht sie, sich eine berufliche Existenz in Deutschland aufzubauen. Dabei wird sie vom Projekt NIFA beraten und begleitet. Sie schließt erfolgreich einen C1-Deutschkurs und einen Excel-Kurs ab und absolviert ein mehrmonatiges Praktikum in einer großen Wirtschafts- und Steuerkanzlei. Sie findet eine kleine Wohnung und ihr wird ein dualer Master-Studienplatz angeboten, den sie aus aufenthaltsrechtlichen Gründen aber nicht wahrnehmen kann: Ein Studium – auch wenn Frau E. ihren Lebensunterhalt selbst sichern kann - bietet nach einem negativ abgeschlossenen Asylverfahren keine Grundlage für einen Aufenthalt.
Mit der Zeit kristallisiert sich heraus, dass eine Ausbildung als Steuerfachangestellte ihre bisherige Qualifikation am besten mit ihren Plänen für die Zukunft verknüpft – ein Beruf, der wie viele andere vom Fachkräftemangel betroffen ist. Im September 2023 findet sie mit Unterstützung von NIFA plus einen Ausbildungsplatz. Da jedoch bereits im Frühsommer ihr Asylantrag rechtskräftig abgelehnt wurde, gibt es aufenthaltsrechtlich einiges für die NIFA plus-Projektmitarbeiter*innen zu tun. Dazu gehören ein Härtefallantrag und ein Antrag auf Ausbildungsduldung. Als gäbe es nicht genug Baustellen, gibt es Probleme mit dem Ausbildungsbetrieb und Frau E. muss sich auf die Suche nach einem neuen Arbeitgeber machen. Dank ihrer Zielstrebigkeit und Beharrlichkeit wird sie fündig und kann ihre Ausbildung seit Dezember 2023 bei einer anderen Stuttgarter Steuerberatungsgesellschaft fortsetzen.
Problemen begegnet sie dabei immer wieder, weil sie als Muslimin ein Kopftuch trägt. Dies ist für ihren Ausbildungsbetrieb glücklicherweise kein Problem. Und so betrachtet sie mittlerweile die juristischen Texte der Ausbildung als größte Herausforderung. Als besonders positiv hebt sie hingegen das Buchhalterische hervor, denn „in Deutschland wird Steuer gemeinsam mit Buchhaltung gelernt, das ist Theorie und Praxis vereint, so ist es viel besser zu verstehen.“
Dank eines neuen Gesetzes kann Frau E. im März 2024 ein Antrag auf eine Ausbildungs-Aufenthaltserlaubnis bei der Ausländerbehörde Stuttgart stellen. Sie hofft auf die rechtzeitige Erteilung, um in ihr Heimatland reisen und ihre Doktorarbeit präsentieren zu können; das letzte fehlende Puzzlestück, um die Bildungsbiographie aus dem Heimatland abzuschließen. Danach kann sie sich ausschließlich auf die Ausbildung zur Steuerfachkraft in Deutschland konzentrieren. Und vielleicht führt Frau E.s Beharrlichkeit und Optimismus sie doch noch zu einem Dualen Masterstudium oder gar ihrem Traum: einer Promotion am Max-Planck-Institut.